Anruf in Pawlowka

Gestern hat mir Pater Bosco aus Marx eine Mail geschickt mit einem angehängten Foto. An einem reichlich gedeckten Mittagstisch sitzen Pater Bosco, Bischof Pickel und sieben Eucharistieschwestern in der Essstube zusammen mit Lida, der Tochter von Tante Beate. Dazu schreibt Bosco. „Letzte Woche waren wir kurz nach Tante Beates Todestag bei Lida
eingeladen und haben auch Deiner gedacht.“ Ein Jahr ist es schon wieder her, dass Tante Beate verstorben ist. Die betagte Russlanddeutsche hatte ich immer bei meinen Besuchen in Marx an der Wolga im benachbarten Pawlowka besucht. „Mein Sohn kommt wieder“, hat sie mir entgegengerufen, wenn ich die Diele betrat und sie mir entgegenkam. Und ich habe mich wirklich bei ihr wie der zurückgekehrte Sohn gefühlt. Wie habe ich ihr gerne zugehört, wenn sie aus ihrem bewegten Leben erzählte, auch wenn mir dabei manches Mal der Atem stockte, beispielsweise wenn sie erzählte, wie die Geheimpolizei ihren Vater zu Stalinzeiten in einer Nacht auf Nimmerwiedersehen aus dem Hause holte und er sich bei seinen Kinder für immer verabschiedet hat. Nun ist sie schon über ein Jahr nicht mehr unter uns. Zur Beerdigung bin ich nicht gekommen und auch danach war ich nicht mehr an der Wolga. Es wird Zeit, so habe ich Lida heute am Telefon gesagt, halb russisch halb deutsch, dass wir uns bald mal wiedersehen und gemeinsam Tee trinken und beten.