Drei junge Frauen aus Russland absolvieren einen Freiwilligendienst in Osnabrück. Sie arbeiten im Kindergarten St. Pius, in der Angelaschule und in einer Wohneinrichtung der Heilpädagogischen Hilfe.

Foto von links: Milyausha, Anna und Taisia

In der gestrigen Ausgabe des Kirchenboten berichtet Andrea Kolhoff über ihr Skypegespräch mit unseren drei russischen Reverserinnen:
Anna Ulyanova (22) spricht Russisch, Spanisch und Englisch und hat ihr Studium in St. Petersburg mit einem Bachelor in Linguistik abgeschlossen. Für ihr Freiwilligenjahr in Osnabrück lernte sie dann noch Deutsch, erst in Russland, dann im Sprachkurs in Osnabrück. Das klappte gut. Nur manchmal stößt Anna auf ihrer Einsatzstelle, dem Gymnasium Angelaschule, an Grenzen: Die Kinder, die sie in der Nachmittagsbetreuung beaufsichtigt, sprechen einfach viel zu schnell. Und ganz anders, als es im Sprachkurs geübt wurde. „Krass“ ist eine der Vokabeln, die Anna erst durch die Schüler kennenlernte. „Superschwierig“ sei das am Anfang gewesen, erzählt sie, und benutzt dabei selbst ein Wort, das im Unterricht für Sprachschüler wohl selten verwendet wird.
Für Anna ist das alles spannend, denn sie hat sich auch im Studium schon mit Sprachaufbau und -strukturen beschäftigt. Als sie als Freiwillige nach Osnabrück ging, wollte sie gerne den Aufbau des deutschen Schulsystems näher kennenlernen. An der Angelaschule wird sie vielfältig eingesetzt. Morgens steht sie im Kiosk „Ökobutze“ und verkauft Marken für das Schulessen, dann hilft sie in der Bibliothek, im Sekretariat und bei den Sprachkursen für Flüchtlinge. Nach dem Unterricht macht sie bei der Nachmittagsbetreuung für Kinder der Klassen fünf und sechs mit. „Wir essen zusammen, spazieren durch den Park oder machen Spiele“, erzählt sie. Das geht bis 16 Uhr, dann gehen die Kinder nach Hause.
Besonders am Herzen liegt Anna ihr „eigenes Projekt“. Sie unterrichtet Spanisch in der achten Klasse. Das mache ihr sehr viel Spaß, sie freue sich, wenn sie Lernerfolge bei den Jugendlichen sieht. Als in den vergangenen Wochen die Schulen wegen der Corona-Krise geschlossen blieben, hatte sie wenig zu tun. Aber per Skype konnte sie weiterhin ihren russischen Sprachschülern in St. Petersburg Spanischunterricht geben.
Milyausha Ramatanova (22) hat im März und April trotz der Corona-Krise weitergearbeitet. Auch sie hat ihr Freiwilligenjahr im August 2019 begonnen und ist im Agnes-Schoeller-Haus der Heilpädagogischen Hilfe beschäftigt. In der Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderungen ist es in der Zeit der Kontaktbeschränkung besonders wichtig, dass der häusliche Alltag für die Bewohner weitergeht. Denn die Werkstätten sind geschlossen, so dass die Bewohner den ganzen Tag zu Hause sind. Die Heilpädagogen und Milyausha als Freiwillige sorgen für Normalität. „Wir machen alles zusammen, aufräumen und kochen, und wir spielen zusammen“, berichtet Milyausha. Zum Beispiel „Mensch ärgere dich nicht“. „Das kennt hier jeder“, sagt die junge Russin und wundert sich.
Milyausha stammt aus einem 500-Einwohner-Dorf nahe der Stadt Kasan im Süden Russlands. Sie hat eine Berufsausbildung zur Programmiererin abgeschlossen. Bevor sie nach Deutschland kam, hat sie einen Freiwilligendienst in St. Petersburg absolviert. Dann erfuhr sie von der Möglichkeit in Deutschland, die der Caritasverband Osnabrück anbietet und bewarb sich darauf. Jetzt kann sie sich vorstellen, nach Ablauf ihres Freiwilligenjahrs an der Berufsfachschule in Osnabrück-Haste eine Ausbildung zur Heilpädagogin zu beginnen. Ob das klappen kann, wird sich zeigen.
Taisia Soboleva (24) stammt aus dem sibirischen Ort Margenau, hat im 120 Kilometer entfernten Omsk an der Pädagogischen Hochschule studiert und einen Abschluss als Grundschullehrerin. In Osnabrück arbeitet sie als Freiwillige im Kindergarten St. Pius. Sie hat zwar in der Schule in Margenau Deutschunterricht gehabt, aber die Sprache nie aktiv gesprochen. Trotz des Sprachkurses in Osnabrück sei es anfangs schwer gewesen, die Kindergartenkinder zu verstehen. Da habe sie sich schon gefragt: „Was mache ich hier eigentlich?“ Doch mit der Zeit wurde es einfacher.
Dass den kleinen Kindern im katholischen Kindergarten der Glaube näher gebracht wird, findet Taisia wichtig. Glaubensvermittlung müsse aber im Elternhaus fortgesetzt werden, sagt sie. Taisia, deren Mutter durch eine katholische Gemeinde in Russland zum Glauben fand, ist selbst katholisch getauft. „Unsere Kirche in Russland ist noch sehr jung“, sagt sie, und Glaubenskatechese gebe es nicht nur für Kinder, sondern für alle Leute. „Das hilft bei der Orientierung“. In Osnabrück besuchte sie vor der Corona-Krise die Messen im Dom, die Gottesdienste in der Kapelle des Angelaklosters und die polnischen Messen in der Herz-Jesu-Kirche. Sie wundert sich, dass in Deutschland nur wenige Menschen vor dem Tabernakel die Knie beugen. „Dabei ist das doch wichtig. Damit ehre ich Gott, den Vater, der mich liebt.“
Betreut werden die drei russischen Freiwilligen in Osnabrück von einem Team des Bistums Osnabrück. Die Mitarbeiter*innen des Freiwilligendienstes stehen für Gespräche zur Verfügung und bieten einen Stammtisch für die jungen Frauen im sogenannten Reverseprogramm an. Während der Einschränkungen durch Corona konnten sich die drei aber in ihrem Wohnheim im Angelakloster treffen. Und Anna und Taisia nutzten die Zeit für Spaziergänge an der Luft, im Bürgerpark, am Piesberg und im schönen Nettetal. Im Juni gibt es ein Abschlussseminar, dann werden sie Bilanz ziehen.
Andrea Kolhoff